Daniela Jauk
Es gibt ein neues (pro-)feministisches, herrschaftskritisches Männer-Magazin und es ist absolut super. Es ist gegen das Patriarchat, nonprofit, DIY, sehr zugänglich, und inhaltlich anregend, inspirierend, geschrieben (nicht nur) für (cis) Männer, und absolut lesenswert. BOYKOTT erschien nach einer erfolgreichen Crowdfunding Kampagne erstmalig im April 2021; im Juli 2021 wurde bereits die dritte Auflage gedruckt. BOYKOTT ist ambitioniert und möchte zur Abschaffung des Patriarchates beitragen, dem System in dem (weiße, nicht-jüdische, able-bodied, akademisierte…) cis Männer ganz besonders privilegiert sind und maßgeblich an der Aufrechterhaltung von sozialer Ungleichheit beteiligt. Es richtet sich deshalb besonders an (cis) Männer, die nun ganz besonders anpacken sollten, wenn es um Gewaltfreiheit und ein besseres Leben für alle geht und sich hier neue Denk- und Handlungsimpulse holen können.
Hinter BOYKOTT stecken Ulla Wittenzellner und Lukas Tau, die sich zum Teil auch professionell im mit Feminismen und kritischen Männlichkeiten beschäftigen, das Magazin aber in ihrer Freizeit und unbezahlt kreieren. Sie erzählen im Editorial dass sie im Coronasommer 2020 die Idee für das Magazin entwickelten. In den Rubriken Theorie, Beziehungen, Interview, Sex & Flirten, Sexualisierte Gewalt, Literarisches, Neulich in der Männergruppe, Antifeminismus und Medizinisches findet sich insgesamt 22 verschiedene Beiträge auf 139 Seiten, die von Kritik Feedback und Leser*innenbriefen abgerundet werden. Jede Rubrik ist liebevoll eingeleitet von den Herausgeber*innen, die vor allem eines wollen: eine größere Vielfalt von Männlich-Seins-Arten zeigen im Interesse von Männern* selbst die von breiteren Denk, Fühl- und Handlungsrepertoires nur profitieren können.
Im Theorieteil erklärt Ulla Wittenzellner zunächst geschickt was denn kritische Männlichkeitsforschung ist und will und dass sie eine fundamentale Kritik am binären Geschlechtersystem und dem damit verbundenen patriarchalen Werturteilen darstellt. „Männlichkeit ist also nicht einfach das, was Männer tun. Männlichkeit ist die Vorstellung davon, wie Männer angeblich sind“ schreibt sie (p.18) bevor sie zu einer fundierten Kritik toxischer Männlichkeit ausholt. Das Konzept der toxischen Männlichkeit hat Einzug in die mediale Landschaft gehalten hat und vor allem in US Raum sehr populär. Soldatische Männlichkeiten die Souveränität, Dominanz und Gewalt ausdrücken werden im Moment oft unter dem Stichwort „toxische Männlichkeit“ zusammengefasst. Wittenzellner argumentiert, dass das Konzept problematisch und unscharf ist, da weiße Männer mit ökonomischer, sozialer und symbolischer Macht sehr leicht ohne offene Gewalt andere weniger privilegierte Männer*, Frauen* und Kinder unterdrücken können. In diesem Sinne verstellt uns das Konzept der toxischen Männlichkeit mit seiner Gewaltfokussierung die Sicht auf Elitemänner die sich anderer und weniger sichtbarer und weniger kriminalisierten Ressourcen und Verhaltensweisen bedienen können um die Erhaltung des hierarchischen Geschlechterregimes zu betreiben.
Mit 5 Beiträgen auf mehr als 30 Seiten fällt die Rubrik zu Beziehungen am stärksten aus und löst brillant das Versprechen ein für und von Männern* zu sein „die selbst am struggeln“ sind. Von Scham und Angst ist hier offen die Rede, in straighten und queeren Liebes- und Freundschaftbeziehungen; von Fürsorge, Trost, und anforderungsloser Akzeptanz in Freundschaften als scheinbar „unmännliche“ Praxen, die tief erfüllend, bereichernd und heilend sein können. Es kommen hier auch Frauen zu Wort, die für eine Politik des Nein Sagens und der Präzision eintreten oder als cis-Frauen die strukturelle Ebenen von Beziehungsarbeit diskutieren, die oft auf persönliche Differenzen heruntergebrochen werden aber tatsächlich strukturell geprägt sind.
Dass Mann-Sein auch selbst-Fürsorge heißen kann und soll spiegelt sich in der Kolumne „Aus der Männergruppe“ die aus dem Innenleben der Gruppe heraus berichtet aber auch im Abschnitt „Medizinsches“ wo umfassend und praktisch über Geschlechtskrankheiten und Selbsuntersuchungspraktiken informiert wird. Aber auch andere Beiträge sind so aus dem Innen geschrieben, dass ich als Leser*in das Gefühl habe, mit am Kaffeetisch zu sitzen, wenn ich zum Beispiel Ulla und Lukas zuhöre wie sie ganz konkret über Sex und Konsens reden. Alle Widersprüche, Zweifel und Fehler haben Platz, wenn Autoren* sich hier sich der Auseinandersetzung mit der eigenen Männlichkeit zu stellen, inklusive fragiler Erektionen.
Handfeste Info und brauchbare Strategien werden auch geboten in einer Kolumne die regelmäßig erscheinen wird. Andreas Hechler dekonstruiert hier antifeministische Killerphrasen (In dieser ersten Ausgabe: „Fast alle tödlichen Arbeitsunfälle treffen Männer“, „Jungen sind Bildungsverlierer“) und offeriert konkrete Argumente, Hintergrundinformation und Anregungen dagegen.
Zwei weitere Beiträge widmen sich der sexualisierten Gewalt und der Vergewaltigung und gehen dabei weit über den üblichen Fokus auf Männer als Täter hinaus. Diese werden ergänzt von einer Zusammenstellung von Beratungsangeboten, die Handlungsoptionen aufmacht für alle von sexualisierter Gewalt betroffenen Menschen und alle interessierten BOYKOTT MAGAZIN – Leser*innen.
Zusätzlich zu den spannenden inhaltlichen und auch literarischen Beiträgen besticht das Magazin durch ein cleanes und geradliniges Design, das nur hier und da von Farbakzenten, Fotografien, und architektonischer Grafik gebrochen wird. Wundervoll sind auch die „Modefotos“ von Co-Editor Lukas, die er von befreundeten Personen gemacht hat und mit Kurzinterviews präsentiert. Es interessieren Lukas hierbei die Macht der Mode in Bezug auf wie Personen gelesen und geschlechtlich einsortiert wird. Die ersten drei Beispiele sind leicht durch das Heft gestreut und begeistern mich als Alternative zu manikürten Photoshop Avatars die sonst als Modefotos durchgehen, denn hier sind Menschen die ihren sehr eigenen DIY Stil teilen und zelebrieren. Die Modefotos, die klug und spärlich gesetzten grafischen Interventionen und Fotos, und die vielen weißen Flächen machen die Publikation zum Magazin, in das hineingetaucht werden kann – um sich in überraschender inhaltlicher Tiefe wiederzufinden!
Die Autor*innen, die in diesem Magazin schreiben, sind unterschiedlicher Geschlechter und Hintergründe. Neben professionell Schreibenden finden sich vor allem Menschen, die aus einer persönlichen Perspektive schreiben und authentisch und zugänglich über ihre Erfahrungen berichten, was das mag so genial macht. Das ganze ohne Fingerzeig und Druck und mit Raum für Widersprüche, denn, so Ulla und Lukas: „Wir wissen auch nicht, wie alles richtig geht. Wir wünschen uns vielmehr eine (bessere) Streitkultur und trotzdem Fehlerfreundlichkeit um uns mutig, zweifelnd und fragend gemeinsam auf den Weg zu machen.“ (Editorial).
Die im ersten BOYKOTT versammelten Texte und Bilder zeigen einen überaus einladenden und fehlerfreundlichen Zugang zum Schreiben, Gestalten und Denken gegen das Patriachat und zeigen dass die spezifischen gesellschaftlichen Bedingungen für cis Männer andere sein können, als beispielsweise für trans* Männer; für ablebodied Männer andere sind als für Männer, die behindert werden usw., wenn gleich crip, genderqueere und/oder trans-Stimmen in dieser ersten Ausgabe scheinbar nicht besonders laut zu hören sind oder nicht als solche explizit geoutet sind. Eine Richtigstellung der Herausgeber*innen zum misgendering einer Person auf Instagram zeigt die fehlerfreundliche Prozessorientiertheit des Teams und ihre Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen und eben gemeinsam zu lernen und zu struggeln.
Daniela Jauk hat für das Queer STS Forum Team Ulla bemüht ein bisschen über den Background des Magazins und über Zukunftspläne zu erzählen.
Ulla, ich habe gerade begeistert das erste Boykott Magazin fertiggelesen und habe auf der website erfahren, dass ihr bereits die dritte Auflage davon druckt. Es kam ja im April 2021 zum ersten Mal heraus – wie und wo ist es angekommen?
Wie schön, dass es dir gefallen hat! Das Boykott-Magazin hat sich irgendwie selbständig ganz schön verbreitet. Wir sind ja schon in der Crowdfundingphase von dem großen Interesse überrascht worden, das hat nicht abgerissen. Es scheint einen Nerv getroffen, eine Lücke gefüllt zu haben.
Zunächst hat es sich vor allem durch die Kampagne und dann über Instagram rumgesprochen. Wir haben super viele Anfragen und Bestellungen bekommen, die wir schließlich auch gar nicht mehr allein bearbeiten konnten. Da ist uns der Schwarze Risse Buchladen in Berlin beigesprungen um zu helfen. Mittlerweile sind wir in der 3. Auflage und in über 33 Buchläden in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu kaufen.
Ich freue mich total über das große Interesse, aber mir schlottern die Knie vor der zweiten Ausgabe! Die Erwartungen sind ja nun erstmal hochgesteckt J
BOYKOTT MAGAZIN steht – wie alle anderen – auch vor der Herausforderung mit Geschlechter- Vielfalt von Autor*innen und Geschlecht in den Texten um-zugehen, wie habt ihr das vorläufig gelöst?
Wir haben das ja recht unterschiedlich gelöst, unsere Herangehensweise ist aber erstmal so dass wir * NICHT verwenden, wenn wir von allen Männern und Frauen sprechen (also auch trans*, inter* Männer und Frauen), sondern nur da, wo wir das nicht wissen können oder wenn wir alle Geschlechter meinen (z.B. Autor*innen). Bei Männern und Frauen verwenden wir kein Sternchen. Wenn wir aber explizit von cis Männern sprechen schreiben wir das dazu. Hier liegt eines der großen Probleme von Geschlechtergerechter Schreibweise: Inwiefern nehmen wir hier unzulässige Einschlüsse vor also schreiben z.B. Männer – womit auch trans* Männer eingeschlossen sind – obwohl das Thema für trans* Männer ein ganz anderes ist? oder wo spreche ich von cis Männern in der Annahme, es handle sich um Probleme, die trans* Männer anders betreffen, und mache damit Ausschlüsse auf? Hierauf gibt es ja ganz häufig keine Antworten weil cis Männer und trans* Männer keine monolithischen Blöcke mit den gleichen Erfahrungen, Bedürfnissen usw. sind. Da bringt uns ein tatsächliches über Sprache nachdenken auch immer wieder an Grenzen. Autor*innen des Magazins werden aber ihre eigenen Schreibweisen zugestanden (die sie gegebenenfalls auch erklären) – es gibt eben viele Arten Geschlechtergerechte Sprache kreativ zu lösen.
Wo siehst du BOYKOTT in 5 Jahren? Was ist geplant und wie darf es sich weiterentwickeln?
Seiner Notwendigkeit beraubt, weil das Patriarchat abgeschafft ist? Haha, nee, so wird das wohl leider nicht kommen. Uns schweben ganz unterschiedliche Szenarien vor: Professionalisierung, damit wir regelmäßiger rauskommen können und Leute (inklusive uns) für ihre Arbeit bezahlen einerseits. Andererseits gefällt es mir sehr gut, dass Leute, die ein Anliegen haben, darin schreiben, dass es durch das Engagement ganz vieler Einzelpersonen zustande kommt, die darin etwas wollen. Das macht den Charme von nicht-kommerziellen Produktionen aus, denke ich.
Inhaltlich wäre mir wichtig einen Raum für Austausch und fürs Streiten zu kreieren. Ein Raum für Männer und andere Menschen. Ich möchte gerne ein Magazin schaffen, dass sich nicht in Bauchnabelschau männlicher Probleme verliert und dabei die Schmerzen der anderen vergisst. Und gleichzeitig soll es ein Magazin sein, das Männer auch als ganzheitliche Menschen sieht, mit dem Schmerz und den Kosten, die mit Männlichkeit einhergehen. Das ist keine ganz einfache Aushandlung.
Wie kann mensch bei BOYKOTT mitmachen und mit Boykott interagieren?
Wir sind total offen für Themen- und Textvorschläge. Für die zweite Ausgabe haben sich mittlerweile einige Personen gemeldet, die gerne etwas beisteuern und schreiben wollen. Das ist total super! Was uns fehlt ist einerseits mehr Diversität bei den Autor*innen und andererseits Unterstützung auf einer anderen Ebene: Bisher machen wir die Verschickung von Boykott aus dem Wohnzimmer raus. Das macht es auch schwierig sich hier weitere Personen ins Boot zu holen, die uns da entlasten können und die Buchläden beliefern, wenn wir mal im Urlaub sind oder so. Gerade suchen wir deshalb einen kostenlosen Raum, der uns als Lager dienen kann. Wer hätte gedacht, dass es ein ganzes Logistikunternehmen wird, was wir hier veranstalten!
Ulla, leider konnte ich BOYKOTT ja nie in Händen halten? Wie ist das haptische Erlebnis? Ist es schwer (es hätte ja satte 56 Euro gekostet es mir in die US zu schicken)? Was für ein Papier verwendet ihr?
Ja, das ist sehr schade! Sag doch bei deinem nächsten Europabesuch bescheid, dann kriegst du noch eins in die Hände. Es ist nämlich wirklich sehr schön! Mit 136 Seiten kann es auch erstmal überfordernd wirken, aber das Magazin muss ja nicht in einem durchgeschmökert werden. Ich finde, dass es vor allem durch das matte Recyclingpapier sehr elegant wirkt.
Auch hier haben wir viel gelernt: Zum Beispiel waren wir völlig erstaunt, als wir feststellten, dass Recyclingpapier eklatant viel teurer ist, als sogenanntes „Normal“papier. Sollte vielleicht nicht erstaunen in dem ressourcenverschwendenden Kapitalismus, in dem wir leben, aber: ernsthaft?
Wo wird BOYKOTT vertrieben? Gibt es auch eine Online-Version?
Noch gibt es keine Online-Version. Wir haben uns gedacht, dass die letzte Ausgabe immer dann online gehen soll, wenn die nächste erscheint. Aber wann das genau sein wird, hängt stark von unseren zeitlichen Ressourcen ab. Wie gesagt passiert das ja alles neben unserer Lohnarbeit, da brauchen Prozesse manchmal etwas länger.
Eine Liste aller Vertriebstellen und Bestellmöglichkeiten findet sich auf der BOYKOTT website; es ist auch möglich dem Magazin auf Instagram und Facebook zu folgen.
Daniela Jauk/DIVANOVA is Assistant Professor for Sociology and Criminal Justice at the University of Akron, Ohio and member of the Queer STS workgroup since 2017. She received a Masters in Sociology from the University of Graz in her home country Austria and completed her Ph.D. in Sociology as a Fulbright student at the University of Akron/OH in 2013. Her areas of research interest and teaching are gender and sexualities, inequality in the criminal justice system, queer-feminist didactics, and qualitative methods. Web: https://danielajauk.com/ |